Endlich streicht die Weltgesundheitsorganisation Transgeschlechtlichkeit von der Liste psychischer Krankheiten. Ein historischer Schritt weg von der Pathologisierung hin zur Akzeptanz. Leider tut die deutsche Bundesregierung mit einem neuen Gesetzesvorhaben ihrerseits gerade alles dafür, weiter an der bestehenden Diskriminierung festzuhalten. Matthias Albrecht führt hierzu ein Interview mit Julia Monro, die sich u.a. bei der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität engagiert.

Albrecht: „Julia, Du bist sehr engagiert was die rechtliche Gleichstellung von Transidentität und Intersexualität angeht. Gerade tobt einmal wieder eine heftige Diskussion um diese Themen. Bevor wir hierauf gleich inhaltlich eingehen, interessiert mich zunächst, wie es Dir, die an vorderster Front kämpft, gerade ganz persönlich damit geht.“

Monro: „Ich engagiere mich seit knapp zwei Jahren für diese Thematik, weil ich durch meinen eigenen Weg da so hineingewachsen bin. Man wird automatisch zum Experten in eigener Sache. Als ich immer mehr positives Feedback, Lob und Anerkennung bekommen habe, hat mich das natürlich irgendwann auch gefestigt und weiter beflügelt. Jetzt bin ich aber eher von der bescheidenen Sorte Mensch und kann mit Komplimenten nicht besonders gut umgehen. Aber irgendwann kommt man an den Punkt, wo man lernt auch Anerkennung anzuerkennen und du stellst fest welche Möglichkeiten dir gegeben wurden auf dieser Welt etwas zu bewirken. Das was ich mache, oder auch die Art und Weise meiner Präsenz, schien den Menschen zu gefallen. Das habe ich als Chance gesehen. Ich habe gemerkt, dass insbesondere junge Menschen jemanden suchen, an dem sie sich orientieren können. Für mich ist es deshalb eine große Ehre, dass ich die Community vertreten darf z.B. gegenüber der Bundesregierung. Wenn ich auf meine Biographie zurückblicke, dann bewegt mich dieses entgegengebrachte Vertrauen umso mehr. Ich bin auch immer total gerührt, wenn Menschen, nach einem Vortrag, auf mich zukommen. Mir ist immer noch die Situation im Kopf, wo ein Trans-Junge auf mich zukam und fast mit Tränen in den Augen sagte:  ‚Auf Dich habe ich mein ganzes Leben gewartet‘. Das sind so Momente, wo Du Wertschätzung erfährst und merkst, Du kannst was verändern. Natürlich gibt es auch manche die meckern, Kritiker wird es immer geben, aber wenn man einen sehr steinigen Weg überstanden hat, dann kann einen nichts mehr umhauen. Außerdem fördert Kritik die Selbstreflektion, ich versuche also grundsätzlich den Geschehnissen etwas Positives abzugewinnen.“

Albrecht: „Die Bundesregierung plant gerade, das sogenannte Transsexuellengesetz  durch eine neue gesetzliche Regelung im Bürgerlichen Gesetzbuch zu ersetzen. Um alle Leser_innen kurz in diese Diskussion einzuführen: Kannst Du knapp umreißen, was das bisherige Transsexuellengesetz grob beinhaltet?

Monro: „Das Transsexuellengesetz wurde vor knapp 40 Jahren verabschiedet, 1981. Damals war die Grundlage, dass Transsexualität als psychische Störung angesehen wurde und dementsprechend musste man sich psychologisch begutachten lassen, wenn man seinen Namen und sein Geschlecht ändern wollte. Das ist die Grundlage, auf der dieses Transsexuellengesetz – Abkürzung ist TSG – damals geschaffen wurde. Das TSG beinhaltete sehr große Hürden, zum Beispiel musste man die Ehe scheiden lassen, man musste vorher die Fortpflanzungsfähigkeit operativ unmöglich machen, sprich es gab eine Sterilisationspflicht. Das sind Dinge, die durch verschiedene Urteile des Bundesverfassungsgerichts gekippt wurden, das ist glücklicher Weise heute nicht mehr so. Der OP-Zwang ist jetzt weg. Der Zwang zur Ehescheidung ist jetzt weg. Jetzt hat die Weltgesundheitsorganisation im letzten Jahr Transsexualität als psychische Störung aus dem Diagnosekatalog in seiner neuen Fassung, dem ICD 11, herausgenommen. Transsexualität heißt jetzt Geschlechtsinkongruenz und ist dort jetzt ein Körperzustand und nicht mehr als psychische Störung kategorisiert. Jetzt versucht der Gesetzgeber dieses Transsexuellengesetz zu reformieren, es soll aufgehoben und teilweise ins Bürgerliche Gesetzbuch verlagert werden. Aber der Gesetzgeber hält dabei immer noch zwanghaft an dieser veralteten Begutachtungspflicht fest, entgegen der neuesten Erkenntnisse oder den neuesten Urteilen des Bundesverfassungsgerichts, wo das sogenannte Selbstbestimmungsrecht gestärkt wird.

Auch der Europarat sagt, die europäischen Mitgliedsstaaten sollen darauf hinwirken, dass der Zugang zur Namens- und Personenstandsänderung vereinfacht wird. Trotzdem wird uns ein Gesetzesentwurf präsentiert, der all diese Errungenschaften unberücksichtigt lässt. Die Ministerien haben eigene Arbeitsgruppen gegründet und die Ergebnisse von diesen Arbeitsgruppen waren für uns teilweise auch sehr positiv, sie werden aber trotzdem in diesem neuen Entwurf nicht berücksichtigt und das macht es für uns schwierig, ihn anzunehmen. Auch weil wir als Verbände nicht am Verfahren beteiligt wurden.

Inhaltlich ist konkret davon die Rede, dass jetzt zusätzlich Ehegatten angehört werden sollen. Es wird immer noch ein Gerichtsverfahren geben. Es ist keine Standesamtslösung geplant, wo man einfach beim Standesamt eine Erklärung abgibt, man muss also immer noch vor einen Richter treten. Die Begutachtung wird nun Beratung genannt. Aber wenn man in diesen Entwurf reinschaut, dann sieht man ganz deutlich, diese ‚Berater‘ sind dieselben bzw. die Qualifikation muss die gleiche sein wie zuvor. Dass man da immer noch an dieser Praxis festhält, das ist für uns nicht verständlich. Es ist nicht zeitgemäß, es ist absolut gegen die Vorgaben der EU, gegen die eigenen Erkenntnisse, die man erarbeitet hat, gegen die Stellungnahmen, die die Verbände seit Jahren äußern Es bedeutet für uns sogar noch eine Verschärfung, statt eine Verbesserung. Ich habe das mal Augenwischerei genannt in früheren Interviews. Es haben mittlerweile über 25 Verbände Stellungnahmen abgegeben und die sind alle einheitlich der Meinung, dass das so nicht tragbar ist. Dieser Entwurf ist für uns nicht diskutabel.“

Albrecht: „Du sagst, das Transsexuellengesetz gibt es seit 1981. Und es gab seitdem immer wieder Kritik daran von vielen Verbänden und es ist auch deutlicher Veränderungsbedarf artikuliert worden. Trotzdem ist politisch von Seiten der Gesetzgeberin lange Zeit gar nichts passiert. Jetzt kommt seit Jahresbeginn plötzlich nicht nur Bewegung, sondern sogar eine regelrechte Eile in diese Sache. Was ist da los?

Monro: „Der Gesetzgeber hat ja das neue Personenstandsgesetz verabschiedet. In den Medien wurde es durch den Begriff ‚divers‘ oder ‚das dritte Geschlecht‘ geprägt. Federführend bei diesem Gesetzgebungsverfahren war das Bundesinnenministerium. Die Bedürfnisse der Verbände wurden permanent ignoriert, es wurde auch gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes gearbeitet und man vertraute weiter auf eigene Experten – so haben sie das genannt. Dementsprechend ist ein Gesetz entstanden, das von anderen in der Politik als ‚handwerklich schlecht‘ betitelt wurde. In der praktischen Anwendung muss laut Gesetzestext von einem Arzt ein Attest vorgelegt werden, dass eine Variante der Geschlechtsentwicklung vorliegt. Dies ist allerdings keine Formulierung mit Rechtsbindung, die Auslegungsmöglichkeiten, wie man eine Variante der Geschlechtsentwicklung definiert, sind vielfältig. Da gibt es einige Ärzte, die das bestätigen und sagen: ‚Okay, für mich ist Transgeschlechtlichkeit ebenfalls eine Variante der Geschlechtsentwicklung.‘ Das Innenministerium beruft sich jedoch auf eine alte Definition von 2005, wir haben aber mittlerweile 2019 und die Wissenschaft hat sich da auch wesentlich weiterentwickelt, so dass einige Ärzte sagen: ‚Das zählt für mich mit dazu.‘ Und einige Trans-Personen sagen für sich: ‚Ich zähle auch dazu‘, und haben das Gesetz dann für sich in Anspruch genommen. Diese Situation hat jetzt in den letzten Monaten für viel Aufruhr gesorgt, so dass das Innenministerium sich dazu geäußert hat. Es wurde mit Strafverfolgung gedroht und Diskriminierungsanweisungen an Standesämter herausgegeben. Der Staatssekretär Günter Krings hat sogar im Interview gesagt, er würde es in Betracht ziehen, für alle transsexuellen Menschen, die dieses Gesetz für sich in Anspruch genommen haben, dass er da eine Rückabwicklung anstoßen möchte. Er selbst weiß, dass das unzulässig ist, spielt aber bewusst damit, um die Menschen zu verunsichern. Das sind Methoden vom Innenministerium, die ich nicht mehr für vertretbar halte. Wenn ich mir jetzt vorstelle, dass Herr Krings sich für das Amt als Bundesverfassungsrichter beworben hat, da bin ich froh, dass er es nicht geworden ist. Ich kann es einfach nicht nachvollziehen, wie Menschen in solchen Positionen solche menschenfeindlichen Ansichten haben und die dann auch noch so öffentlich vertreten.

Jetzt haben sie diesen Entwurf vorgelegt, dort gibt es einen Abschnitt, der auch diesen neuen §45b PStG schon wieder neu regeln soll. Dieser Paragraph konnte von transgeschlechtlichen Menschen erfolgreich genutzt werden. In dem neuen Entwurf wird er jedoch wieder gestrichen. Ich glaube, dass die neue Situation mit ein Grund ist, dass eine zügige Gesetzesänderung auch vom Bundesinnenministerium (BMI) so forciert wurde. Wenn ich richtig informiert bin, dann waren diese Umstände dem Bundesjustizministerium in der Form gar nicht bewusst. Das BMI will nicht zu eigenen Fehlern stehen, die man in der Vergangenheit gemacht hat, stattdessen werden immer neue Restriktionen geschaffen und Drohungen ausgesprochen. Ich persönlich glaube, dass diese Anwendung des §45b PStG dem Innenministerium sauer aufgestoßen ist und dass die versuchen, ihren eigenen Fehler jetzt zu überdecken. Ich weiß zwar aus den Ministerien, dass es da noch weitere Gründe gibt, ich bin aber fest davon überzeugt, dass es sich seitens des BMI um einen Versuch handelt dem Justizministerium im Zuge der Reform, diese Neuregelung unterzujubeln, damit die eigenen Fehler vertuscht werden.“

Albrecht: „Du hast jetzt mehrfach das Bundesinnenministerium sehr kritisiert, daher interessiert mich: Wie erleben die diversen Verbände denn jetzt aktuell die Zusammenarbeit für dieses Gesetzgebungsverfahren, über das wir hier sprechen, mit dem Bundesinnenministerium?“

Monro: „Mit anderen Ministerien machen wir sehr gute Erfahrungen, zum Beispiel mit dem Familienministerium existiert eine sehr gute und intensive Kooperation. Verbände und Selbsthilfegruppen erhalten bspw. von dort Förderungen, da gibt es auch persönliche Kontakte sowohl auf Bundesebene als auch auf Länderebene, da ist auch der Wunsch, uns zu unterstützen. Die schätzen die Arbeit, die wir machen. Jetzt muss man wissen, das Bundesfamilien- und das Bundesjustizministerium sind SPD-geführte Ministerien, die sich Mühe geben uns zu unterstützen. Und beim Innenministerium, das ist in CDU/CSU-Hand, da herrscht wiederum ein ganz anderes Menschenbild. Einen Ansprechpartner bekommt man da kaum, da wird man wesentlich eher abgeblockt als dass man da auf Gehör stößt. Wir würden uns einfach wünschen, dass wir mal intensiv in den Austausch gehen können, um denen einfach mal die realen Alltagssituationen darzustellen. Nur dann hat man die Möglichkeit auch die Problematik genauer zu beschreiben. Wenn Dinge einfach nur nach Aktenlage entschieden oder beschlossen werden ist das oft schwierig. Wenn man jedoch in den persönlichen Dialog tritt ist vieles einfacher. Wir wünschen uns einfach, dass man mit uns redet anstatt über uns.“

Albrecht: „Kann es sein, dass Seitens des Bundesinnenministeriums genau ein solcher Dialog gar nicht gewünscht ist?“

Monro: „Davon gehen wir fast aus, ja. Deshalb reden wir öffentlich drüber um deren menschenverachtendes Handeln bekannt zu machen.“

Albrecht: „Wurde denn die Expertise der Verbände bei diesem konkreten Gesetzesentwurf einbezogen? Hattet ihr beispielsweise ausreichend Zeit zumindest eine Stellungnahme abzugeben?“

Monro: „Am 08.05. wurde der Referentenentwurf präsentiert. Sämtliche Verbände haben eine Email mit diesem Entwurf bekommen mit der Bitte um Stellungnahme und einer Rückmeldefrist binnen zwei Tagen. Ich selber hatte die Email erst gegen 17 Uhr gelesen. Beinahe gleichzeitig meldeten sich die ersten Medien, die darüber berichten wollten. Jetzt muss man sich mal überlegen, die meisten von uns arbeiten ehrenamtlich, da sind dann noch Job, Familie etc., und man macht die politische Arbeit noch zusätzlich. Wie sollen wir als Verbände eine Stellungnahme abgeben, die auch juristisch abgesichert ist und das innerhalb von zwei Tagen? Wir haben da teilweise bis nachts um halb drei gesessen, damit wir diese Stellungnahme fertig kriegen um sie dann Freitagmittag rechtzeitig vor Fristablauf abliefern zu können. Natürlich waren wir empört darüber und das hat dann auch in den Medien Anklang gefunden. Man hat sich da vor den Kopf gestoßen gefühlt. Natürlich hat man das immer wieder versprochen, dass ein Entwurf kommen wird, aber dass es dann so plötzlich kommt und auf einmal auch alles so schnell gehen muss, da waren wir alle ein wenig überrascht. Ich habe ein paar Tage bevor der Entwurf kam noch eine Anfrage an das Bundesinnenministerium stellen lassen, ob es da schon konkrete Entwürfe gibt, weil es Gerüchte hierzu gab. Und dann lag er plötzlich auf dem Tisch. Wir waren ganz schön baff. Dass man uns da nicht mit einbezieht, dass wieder mal  über die Menschen entschieden wird statt mit ihnen, das macht einen wütend.“

Albrecht: „Die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti) lehnt den Gesetzesentwurf, der das TSG ersetzen soll rundherum ab und erklärt ihn, wie Du sagst, zu einer Augenwischerei. Hauptablehnungspunkt, der auch immer wieder von anderen Fachverbänden, aber auch den Oppositionsparteien vorgebracht wird ist, dass der Entwurf bezüglich des Geschlechts eine Fremd- statt Selbstbestimmung fortschreibt. Was genau ist damit gemeint?“

Monro: „Im Grundgesetz ist die Würde des Menschen und das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit verankert. In dem Moment, wo du nicht selbständig über diesen Persönlichkeitsbereich, nämlich dein Geschlecht, bestimmen darfst und der Gesetzgeber sich eine Kontrollfunktion vorbehält, bist du in deiner freien Entfaltung per Gesetz eingeschränkt. Es wird niemand dabei verletzt, wenn die Person ihren Personenstand ändert, keiner trägt einen Schaden davon. Trotzdem will der Gesetzgeber die Kontrolle darüber behalten. Dieses autoritäre Begehren ist für uns einfach unverständlich, dass der Staat uns da immer noch bevormunden will. Ich kann zwar die Sorge nachvollziehen, dass es Befürchtungen gibt bzgl. Missbrauch, aber wenn man mal den europäischen Vergleich heranzieht, da gibt es positive Rückmeldungen, dass diese Praxis sich in anderen Ländern bewährt hat. Diejenigen, die ein ernsthaftes Interesse daran haben, die machen das nicht heute so und morgen wieder anders. Das macht keiner aus Spaß, das macht keiner, weil es irgendwie gerade hipp ist oder weil es gerade trendy oder cool ist, sondern weil da wirklich ein langer Leidensweg dahinter steckt. Dass der Gesetzgeber, das noch immer nicht begreifen möchte und an dieser Bevormundung festhalten will, ist für uns einfach nicht nachvollziehbar.“

Albrecht: „Konkret sieht der Entwurf u.a. vor, dass vor einer Änderung des Geschlechtseintrages eine sogenannte qualifizierte Beratung verpflichtend in Anspruch genommen werden muss, dass ein Gericht über die Änderung des Geschlechtseintrage entscheidet und das Ehe- bzw. Lebenspartner_innen vorher zu hören sind? All diese Punkte weisen Du und viele andere Vertreter_innen der diversen Verbände klar zurück. Auf den ersten, die Beratungspflicht, bist du schon eingegangen.Gehen wir zum nächsten Punkt: Die Entscheidung über die Änderung des Geschlechtseintrages soll durch ein Gericht genehmigt werden. Warum ist das nicht akzeptabel?

Monro: „Der Europarat hat im Jahr 2015 eine sogenannte Transgender-Resolution veröffentlicht und die Mitgliedsstaaten darin aufgefordert, den Zugang zum Namens- und Personenstandswechsel möglichst einfach zu gestalten ohne große Hürden, ohne Begutachtung und in einem möglichst einfachen Verfahren. Nun ist es aber so, dass Gerichtsverfahren eben nicht einfach sind und unter anderem auch eine psychische Belastung bedeuten. Man stellt sich bspw. die Frage, wie der Richter entscheiden wird oder wie man sich verhalten muss um die gewünschte Entscheidung zu bekommen. Ängste Fehler zu machen begleiten einen. Natürlich trägt man das psychisch mit sich herum. Vom Datum der Antragsstellung bis zu dem fertigen Beschluss hast du das permanent im Kopf. Auch wenn es in den meisten Fällen immer einen positiven Beschluss gegeben hat, trotzdem ist es ein sehr beklemmendes Gefühl vor einen Richter treten zu müssen, das hat nichts mit Selbstbestimmung zu tun, da ist immer noch dieses Gefühl, jemand anders entscheidet über mich wie ich leben darf, wie ich sein darf; ich kann mich nicht so geben wie ich bin. Das gibt auch das Gefühl, ich bin so nicht okay, wie ich bin, sondern jemand anders muss erst mal seinen Daumen hoch oder seinen Daumen runter machen. Und erst wenn dieser jemand das akzeptiert hat, der Richter in dem Fall, erst dann darf ich endlich so leben wie ich bin. Diese Hürden bauen sehr hohe psychische Barrieren auf und das ist das, was wir unter Fremdbestimmung oder Bevormundung durch den Staat verstehen. Diese Machtausübung über Menschen, über Geschlechter, über Individuen, das allein ist schon verwerflich. Dass man an dieser Praxis jetzt immer noch festhalten möchte widerspricht den Vorgaben des Europarates.“

Albrecht: „Der Entwurf sieht auch vor, dass Ehe- bzw. Lebenspartner_innen angehört werden sollen, bevor über eine Änderung des Geschlechtseintrages entschieden wird. Was sagst Du dazu?

Monro: „Man bringt da den Ehepartner in eine ganz prekäre Situation. Lieben die beiden sich, wird der Ehepartner sich fragen: ‚Was muss ich dem Richter jetzt sagen, dass ich meinen Partner oder Partnerin unterstützen kann‘. Und falls es scheitert fühlt sich die angehörte Partnerin oder der angehörte Partner nachher auch noch mit schuldig. Man bringt Ehepartner in eine sehr beklemmende Situation. Wenn ich das mit dem Strafrecht vergleiche, da gibt es genau aus diesem Grund das Zeugnisverweigerungsrecht, wenn der Zeuge mit der beklagten Partei verheiratet ist oder war. Dies nun entgegen der bisherigen Praxis zu fordern, das ist schon vermessen, das ist absolut übergriffig. Zusätzlich werden in diesen Anhörungen beispielsweise Fragen gestellt zum Intimleben, zum Sexualleben und so weiter. Das sind einfach Dinge, die haben da nichts verloren. Hat man jetzt einen Ehepartner oder eine Ehepartnerin, die das Ganze nicht unterstützt, dann wird diese Person natürlich sämtliche Bagatellen auspacken und alles Mögliche erzählen, nur um dem Partner da noch eines auszuwischen und dann kriegt derjenige seinen Personenstand mit größerer Wahrscheinlichkeit nicht. Also allein der Versuch Ehepartner da in so eine unangenehme Situation zu pressen, das erinnert an mittelalterliche Methoden, das hat mit Selbstbestimmung nichts zu tun, das hat mit der freien Entfaltung der Persönlichkeit nichts zu tun. Da fragt man sich immer wieder, warum hat der Staat ein so großes Interesse daran, die Sache durch Dritte kontrollieren zu wollen.“

Albrecht: „Was glaubst Du ist die politische Motivation hinter allen diesen Punkten, die von den Verbänden so scharf und ja auch zu Recht kritisiert werden?

Monro: „Im April hatte ich eine Einladung in die CDU-Parteizentrale in Berlin. Dort war ein Referent, der eine Führung durchs Haus gemacht hat. Der hat dann einen Satz gesagt, wo ich aufhorchen musste. Er hat gesagt: ‚Die CDU vertritt ein christliches Menschenbild und sie stellt sich gegen alles, was eine andere Ideologie vertritt‘. Dieser Satz hat mich schockiert. Dass man seine eigene Ansicht als die einzig wahre begreift und alles andere als Ideologie betitelt und dagegen ankämpfen möchte. Wenn jemand politisch so agiert und sich nicht öffnet für neue Entwicklungen und für Fortschritte, für neue wissenschaftliche Erkenntnisse und so stur am eigenen Menschenbild festhält, dann ist das kontraproduktiv. Das finde ich parteipolitisch nicht in Ordnung. Und damit auch noch zu werben auf Kosten von Menschen, die wirklich darunter leiden, das ist für mich absolut gegen die Menschenwürde. Ich positioniere mich ungern parteipolitisch, aber das ist nun mal eine Erfahrung die ich mache, dass die CDU da aktiv gegen Rechte für transgeschlechtliche Menschen ankämpft, während andere Parteien, auch der eigene Koalitionspartner, gemeinsam mit Grünen, Linken, auch der FDP sich dafür aussprechen. Die CDU nimmt hier aber genau die gleiche Haltung wie die AfD ein. Das hat nichts mehr mit der Anerkennung der Menschenwürde zu tun, das ist schon fast menschenfeindlich, was die da machen. Da steckt natürlich auch dieses ‚christliche‘ Weltbild dahinter, worauf die sich immer wieder gern berufen. Ich bin selber sehr gläubig, ich habe selber auch Theologie studiert und wenn zu mir Leute ankommen und sagen: ‚Du stellst Gottes Schöpfung infrage‘, dann versuche ich den Spieß umzudrehen und frage: ‚Bist Du vielleicht derjenige, der Gottes Schöpfung infrage stellt?‘ Auf diesen Gedanken kommen die gar nicht. Gott hat eine vielfältige Schöpfung kreiert, wo alle Menschen unterschiedlich sind Es wäre ja auch langweilig, wenn wir alle gleich aussehen würden, wenn wir alle die gleichen Ansichten hätten etc.. Wenn man sich in der Natur mal umschaut, wo es auch im Tier und Pflanzenreich Trans- und Intersexualität gibt, darüber versuche ich mit den Leuten in einen Dialog zu treten, dass sie sich mal selbst hinterfragen, ob diese Behauptung, ‚du stellst Gottes Schöpfung infrage‘, auch tatsächlich zu trifft oder ob derjenige das nicht selber tut. Das würde ich gern den Leuten im Innenministerium mal sagen, weil ich ziemlich sicher bin, dass viele da genau so denken.“

Albrecht:“Die dgti fordert, dass zwei wichtige Punkte im Gesetzgebungsverfahren berücksichtigt werden sollen, die dort aktuell noch gar nicht enthalten sind, nämlich eine Strafbewehrung beim Offenbarungsverbot und ein besonderer Diskriminierungsschutz in der Transitionsphase. Kannst Du erklären, was sich hinter diesen beiden Punkten verbirgt und weshalb sie so essentiell für euch sind?

Monro: „Im Strafgesetzbuch §203 gibt es das Privatgeheimnis. Wenn Ärzte, Anwälte oder besondere Berufsgruppen intime Geheimnisse über eine Person erfahren dann unterliegen sie einer Schweigepflicht, sonst machen sie sich strafbar. Wer transgeschlechtlich ist, der hat ein ernsthaftes Interesse daran, dass die Vergangenheit, das frühere Leben im Geburtsgeschlecht nicht permanent erklärt werden muss. Da werden oft sämtliche Zeugnisse oder andere Dokumente umgeschrieben, damit man sich beispielsweise bei Bewerbungen mit einem Arbeitszeugnis bewerben kann, wo auch der neue Name vorhanden ist, obwohl das Zeugnis zu einem Zeitpunkt erworben wurde, wo noch der alte Name, der sogenannte Deadname, verwendet wurde. Insbesondere in behördlichen Verwaltungsapparaten ist das ein Problem. Hier wird man oft dazu genötigt, seine Vergangenheit zu erklären und wird gegen den eigenen Willen zur Offenbarung eines intimen Privatgeheimnisses verpflichtet. Es gibt zwar aktuell ein Offenbarungsverbot im jetzigen TSG, doch es bleibt bei Verstößen ohne strafrechtliche Folgen. Das mit der Transitionsphase ist so: Man hat ja erst das innere Coming-out, dass man selber erst mal die Wahrnehmung über sich selbst hat und sagt: ‚Okay ich bin so, ich erkenne mich jetzt an und ich nehme meinen Körper und meine Identität so an, wie ich bin Und das lebe ich jetzt auch‘. Dann kommt das äußere Coming-out, wo ich es auch nach außen zeige. Sobald man dann dieses äußere Coming-out vollzogen hat, ist man in allen Lebensbereichen einer neuen Situation ausgesetzt. Es kommt zu Diskriminierung und das gesamte Umfeld wird davon beeinflusst. Egal ob jetzt im Beruf, der Familie oder in der Schule. Man kommt in Kontakt mit Behörden, wo  man sich immer wieder erklären muss, man hat Probleme bei der Krankenkasse, seine Leistungen zu bekommen und so weiter und sofort. Es sind wirklich alle Lebensbereiche davon betroffen. Man kann sich ein Schaubild vorstellen, wo ein ausgewogenes Leben auf vier Säulen steht. Die erste Säule ist Beruf und Finanzen, die zweite Säule ist das soziale Umfeld, Freunde, Familie etc., die dritte Säule ist Gesundheit und die vierte Säule ist Sinnhaftigkeit,  wie z.B. Kultur, Glauben und Hobbys. Bricht die erste Säule weg, Job, Beruf, Finanzen, dann hat man schon Schwierigkeiten. Da kommt der Mensch erst mal in eine kurze Lebenskrise. Das kann sich wieder fangen, es gibt ja noch drei Säulen, die dich weitertragen. Bei transgeschlechtlichen Personen ist es aber nicht nur diese erste Säule, die dann wackelt. Viele verlieren tatsächlich ihren Job und kommen so in finanzielle Schwierigkeiten. Ich hatte jetzt erst vor kurzem einen Fall, da hat die Person sich auf der Arbeitsstelle geoutet und einen Tag später lag die Kündigung auf dem Tisch. Weil die Firma das einfach nicht mittragen will. Da sind Ausfallzeiten vorprogrammiert, man muss verschiedene Operationen über sich ergehen lassen oder Arzt- und Psychologentermine wahrnehmen, das ganze Spektrum. Und das belastet auch den Arbeitgeber. Aus Arbeitgebersicht ist es schwierig, wenn es ein kleiner Betrieb ist, diese eine Person dann aufzufangen. Dementsprechend lag in diesem Fall einen Tag später die Kündigung auf dem Tisch und das ist keine Seltenheit. Der LSVD (Lesben- und Schwulenverband in Deutschland e.V.) hat eine Studie herausgegeben, nach der 21% aller Transsexuellen arbeitslos sind. Im Vergleich zur übrigen Bevölkerung ist das das vier- oder sogar fünffache. Und gerade weil diese Vorbehalte durch die Arbeitgeber vorherrschen, die ganz genau wissen, da ist jemand, der befindet sich in der Transition, wird der Arbeitgeber den vermutlich auch nicht so schnell einstellen, weil er genau weiß, ich investiere in eine Person, die womöglich jetzt permanent fehlen wird. Ich habe mich selber mal beim Bundeskriminalamt beworben, ohne dass die meinen Hintergrund kannten, das heißt, die wussten nicht, ob ich irgendwelche Operationen geplant habe oder Hormone nehme. Ich habe damals nur den Begriff Transgender verwendet. Ohne dass die mich zu einem Gespräch eingeladen hatten, ohne dass die genaues Hintergrundwissen hatten, haben die mir eine Absage erteilt mit der Begründung, ich sei als dienstuntauglich einzustufen solange die Transition nicht abgeschlossen ist. Sie wussten gar nichts über mich, ob ich mich in die Transition begeben möchte, sie abgeschlossen habe oder mich mittendrin befinde. Sie haben es einfach vermutet. Und das ist die Realität. Säule eins wackelt und dann kommt noch dazu, dass du von Familie, Freunden und Verwandten den Rücken zugedreht bekommst. Dann bricht noch die Säule der Sinnhaftigkeit weg, etwa in der Form, dass du bei der Kirche ausgeschlossen wirst oder den Anschluss zu deinen Hobbys, Vereinsaktivitäten verlierst. Und oben drauf kommt die Auseinandersetzung mit den Krankenkassen, dass du dir deine Leistungen allein erkämpfen musst vor Gericht und so weiter. Dann brechen alle vier Säulen zusammen und die Leute kommen aus dieser Situation einfach nicht mehr heraus. Du gerätst in einen Abwärtsstrudel, den du aus eigener Kraft gar nicht mehr steuern kannst und ehe du dich versiehst landest du in der sozialen Abhängigkeit. Weil ein Arbeitgeber dir sagt, solange die Transition nicht abgeschlossen ist, kann ich dich nicht einstellen, du kannst die Transition aber nicht abschließen, weil dir das Geld dafür fehlt aufgrund deiner Arbeitslosigkeit. Weil du viele Leistungen vor Gericht von den Krankenkassen erstreiten musst. Manchmal verlierst Du ein Verfahren auch, dann musst du die Operation selber bezahlen oder Fahrten zu den Ärzten, die weit entfernt sind. Dieses Geld brauchst Du, das Geld fehlt aber. So befindest Du Dich in einem Teufelskreis, aus dem du nicht mehr rauskommst. Und an der Stelle sehe ich den Gesetzgeber in der Pflicht, dass es einen besonderen Schutzbedarf gibt. Es gibt ja bspw. Mutterschutzgesetze, dass Dein Arbeitsplatz gesichert ist, wenn du schwanger bist. Da glaube ich, dass der Gesetzgeber in der Pflicht ist, einen besonderen Schutzbedarf herauszustellen, um eine ähnliche Regelung zu finden, damit diese Transitionsphase diskriminierungsfrei durchgeführt werden kann. Dass Du keine Angst darum haben musst, ich habe mich heute geoutet, morgen ist mein Job weg. Damit Du die Transitionsphase auch finanziell gesichert durchstehen kannst.“

Albrecht:“Das Gesetzgebungsverfahren läuft aktuell. Was glaubst Du, wie wird es damit jetzt konkret weitergehen? Was passiert als nächstes?“

Monro: „Also es hat in der Vergangenheit durchaus Gespräche gegeben. Die Ministerien haben die Kritik natürlich auch wahrgenommen. Der Entwurf sollte ursprünglich bereits dem Kabinett vorgelegt werden und das ist nicht passiert. Wir schreiben uns das natürlich jetzt auf die Fahnen, dass unsere Kritik da geholfen hat. Es hat auch schon verschiedene Treffen gegeben, wo man sich darüber austauscht, was denn von unserer Seite gewünscht ist. Da wurde auch deutlich, dass unser Wunsch nach Selbstbestimmung mit dem Weltbild der Union nicht zu vereinbaren ist. Man hat dann versucht, uns Kompromisslösungen vorzuschlagen. Die rote Linie ist aber die Begutachtungspflicht und das Gerichtsverfahren, solange es dabei bleibt, ist der Entwurf für uns indiskutabel. Wir haben auch deutlich gemacht, dass wir dann lieber gar keinen Entwurf nehmen als den, der unsere Situation noch verschlechtern soll. Dazu hat sich die amtierende Justizministerin Katharina Barley vor Kurzem geäußert und hat dann sinngemäß gesagt: ‚ Ja, dann ziehen wir ihn halt zurück‘. Das wurde dann natürlich von den Kritikern wieder so aufgefasst, als sei sie wie ein motziges Kind, das sagt: ‚Wenn ihr das nicht wollt, dann halt gar nichts‘. Sie hat es aber durchaus positiv gemeint, dass sie den Wünschen der Community da nachkommen würde. Sie meinte damit lediglich, wenn wir uns da nicht einigen können, dann nehmen wir das lieber wieder zurück um keinen Schaden anzurichten. Denn wenn dieser Entwurf so ins parlamentarische Verfahren kommt, dann gibt es nicht mehr viele Änderungsmöglichkeiten. Jetzt haben wir die Möglichkeit, dass wir uns da nochmal zusammensetzen können und unsere Vorstellungen einbringen. Wenn unsere rote Linie nicht eingehalten werden kann, dann werden wir darauf bauen, dass der Entwurf wieder zurückgezogen wird.“

Albrecht:“Gibt es ein Gebetsanliegen, das Du den Leser_innen unseres Blogs, wenn sie für Dich, Deine Arbeit und diese Situation von transgeschlechtlichen Menschen beten wollen, gern ans Herz legen möchtest?

Monro: „Was mir wirklich sehr am Herzen liegt ist die Toleranz und die gegenseitige Akzeptanz, die muss wachsen. Und da muss jeder bei sich selbst anfangen: die Nächstenliebe in den Vordergrund stellen und nicht zu sehr auf die Gesetzlichkeit pochen. Das hat Jesus auch immer wieder in der Bibel gesagt, dass die Nächstenliebe im Fokus stehen soll und dass es nicht mehr auf die Gesetzlichkeit ankommt. Wenn die Pharisäer ihn angegangen sind und bemüht waren ihn mit der Auslegung des Gesetzes in Versuchung zu bringen, dann hat Jesus immer wieder darauf plädiert und darauf hingewiesen, dass es auf den Menschen ankommt. Mir fällt da immer wieder auch der Bibelvers ein: Der Mensch sieht was vor Augen ist, Gott aber sieht das Herz an (1. Sam 16,7). Es ist wichtig, dass wir uns immer auf das Wesentliche besinnen und nicht auf das Augenscheinliche. Wenn durch Gesetzmäßigkeit Menschlichkeit verloren geht, dann hat das nichts mehr mit Nächstenliebe zu tun.

Julia Monro ist 37 Jahre alt und lebt in Rheinland-Pfalz. Sie war Studentin an einer Bibelschule, hat Theologie studiert und arbeitet als Fachinformatikerin. Monro gehört zum geschäftsführenden Vorstand der Bundesvereinigung Trans* und ist aktiv bei der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti). Außerdem engagiert sie sich in der Fachgruppe Gendergerechtigkeit der Evangelischen Landeskirche von Hessen-Nassau. 


Quelle: https://www.evangelisch.de/blogs/kreuz-queer/156466/29-05-2019

AUTOR*IN
Matthias Albrecht
Matthias Albrecht

Matthias Albrecht, geboren 1982, ist diplomierter Sozialarbeiter und hat einen Master in Gender Studies.