Queer.de – Anspruch auf Lipofilling: Trans Frau siegt vor Gericht
Erfolg nach dreieinhalb Jahren
Anspruch auf Lipofilling: Trans Frau siegt vor Gericht
Die Krankenkasse muss einer trans Frau die Eigenfett-Transplantation „bis zur Fertigstellung der Brust“ genehmigen, urteilte das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz. Das Verhalten der Kasse rügte es als „zynisch“.
Die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti) empfiehlt trans Menschen, beim Verdacht auf willkürliche Entscheidungen zu klagen und stellt dafür ihre fachliche Beratung zur Verfügung (Bild: pixel2013 / pixabay)
Für trans Frauen ist der Brustaufbau oft eine medizinische Maßnahme von existenzieller Bedeutung. Die Eigenfett-Transplantation, das sogenannte Lipofilling, ist eine neuartige und schonende Methode für den Brustaufbau. Eine trans Frau, die aus Angst vor Fremdkörpern und Komplikationen deshalb diese neue Variante als Alternative zu Silikonimplantaten beantragte, hat seit 2017 für diese Methode gekämpft, sich bis zum Landessozialgericht Rheinland-Pfalz durchgeklagt und im Juli 2020 schließlich gewonnen (Urteil als PDF).
Die Krankenkasse hatte die gewünschte Operation zunächst verweigert. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) lehnte das Lipofilling ab und verwies stattdessen auf die sogenannte DIEP-Lappen-Methode. Bei dieser Operation werden große Schnitte im Bauch- und Brustbereich vorgenommen. Das Gewebematerial wird am Bauch entnommen, zu einer Kugel geformt, um sie anschließend in der Brust zu verpflanzen. Diese Operation ist sehr belastend für die Patientin, dauert mehrere Stunden und hinterlässt anschließend unschöne große und sichtbare Narben.
Gemeinsamer Bundesauschuss pro Lipofilling
Gegen diesen Vorschlag legte die trans Frau Widerspruch ein und holte sich weitere Expert*innen-Meinungen sowie eine Einschätzung des Gemeinsamen Bundesauschusses (GBA), des höchsten Gremiums der Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen, ein. Die Krankenkasse gab den Fall erneut zur Prüfung an den MDK, welcher das Lipofilling erneut nicht befürwortete. Er bestätigte zwar grundsätzlich den Anspruch auf den Brustaufbau, lehnte jedoch die gewünschte Methode ab.
Die Klägerin verweigerte weiterhin die DIEP-Lappen-Methode, sie sei keine alternative Option. Sie neige zu verzögerter Wundheilung, erhöhter Narbenbildung und stark ausgeprägten Hämatomen. Die vorgeschlagene Methode gefährde ihre Gesundheit und sei daher inakzeptabel. Sie verwies auf die Stellungnahme des GBA, welcher das Lipofilling in Ausnahmefällen bei stationären Aufenthalten durchaus als Alternative in Betracht zieht. Die Krankenkasse lehnte dennoch ab.
MDK gab der Krankenkasse einen „Tipp“
Die Klägerin blieb hartnäckig und legte weitere Unterlagen sowie Berichte vor und bat um eine aktuelle Bewertung der Sachlage. Die Krankenkasse beauftragte den MDK erneut. In einem Aktenvermerk ist laut Gericht erkennbar, dass der MDK der Krankenkasse einen „Tipp“ gegeben haben soll, dass sie den Fall vor dem Sozialgericht verlieren würde. Man solle sich daher überlegen, ob der Aufwand es wert wäre
Die Klägerin legte zwischenzeitlich zwei weitere Gutachten unterschiedlicher Kliniken vor. Im Februar 2018 folgte die Krankenkasse dem „Tipp“ des MDK und genehmigte eine Lipofilling-Sitzung für den Brustaufbau. Wenn weitere Sitzungen erforderlich seien, solle sie dann jeweils einen weiteren Antrag stellen.
Krankenkasse verweigerte Folge-Sitzungen
Nach der Genehmigung ließ die trans Frau die erste Sitzung Lipofilling durchführen und beantragte nach erfolgreicher OP auch vorschriftsmäßig gleich die zweite Sitzung. Doch die Krankenkasse lehnte nun überraschend ab. Fassungslos und empört reichte die Klägerin ihren Widerspruch ein, es sei „unlogisch“ eine bereits genehmigte Therapie zu unterbrechen und auf halber Strecke Stopp zu machen. Drei Kliniken hatten in ihren Expertisen über die Methode des Lipofillings ausführlich dargestellt, dass mindestens drei OP-Schritte notwendig seien, um ein stimmiges Brustbild zu erzeugen, welches dem einer cis Frau entspreche.
Die Krankenkasse holte sich erneut die Meinung des MDK ein, dieser lehnte mit dem Hinweis ab, Lipofilling sei schon beim ersten Mal nicht befürwortet worden. Die Argumentation empfand die trans Frau als logisch nicht nachvollziehbar und willkürlich. Sie zog vor Gericht und gewann nun den Prozess.
Richter*innen bezeichnen Kasse als „zynisch“
Im Gerichtsverfahren musste die trans Frau eine Fotodokumentation vorlegen. Das empfand sie als entwürdigend. Sie argumentierte schließlich, dass etwa eine Impfung auch aus mehreren Sitzungen bestehe und jedes Mal eine Spritze verabreicht würde. Trotzdem handele es sich um eine einzelne Therapie, die lediglich in drei Schritte aufgeteilt werde. Da der Behandlungsbedarf bereits bestätigt sei und die Therapie begonnen habe, sei es medizinisch und ethisch keineswegs vertretbar, eine bereits genehmigte und laufende Therapie zu unterbrechen.
Das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz stimmte der Argumentation zu und bezeichnete das Vorgehen der Krankenkasse, den ersten Schritt zu genehmigen und die Versicherte anschließend mit halbfertiger Brust im Stich zu lassen, als „zynisch“. Die Kasse wurde nun verurteilt, den Brustaufbau bis zur „Fertigstellung […] mittels Lipofilling zu gewähren“. Das am 9. Juli 2020 verkündete Urteil ist mittlerweile rechtskräftig.
dgti fordert gesetzlich verankerte Gesundheitsversorgung
Etwa dreieinhalb Jahre kämpfte die trans Frau für ihren Brustaufbau. Die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti) hat den Prozess begleitet. Interessenvertretungen beklagen schon lange die willkürliche Begutachtungspraxis durch den MDK. Häufig seien es Psychotherapeuten, die wie in diesem Fall eine chirurgische Methode bewerten müssen, obwohl ihnen die fachliche Expertise dazu fehle.
Ein weiteres Problem: Krankenkassen und MDK fordern von trans Menschen einen psychischen Leidensdruck – der Leidensdruck an sich ist laut Bundessozialgericht die Grundlage, auf der sie medizinische Leistungen in Anspruch nehmen können. Oft sind die antragstellenden Personen jedoch psychisch gesund und der vorhandene Leidensdruck wird erst durch die häufig verschleierten Anforderungen der Kassen und des MDK bis ins Unerträgliche verstärkt.
Die dgti-Vorsitzende Petra Weitzel fordert deshalb klare Regelungen, die im Sozialgesetzbuch (SGB) verankert werden müssten: „Die neu veröffentlichten S3-Leitlinien werden immer noch von Kassen und MDK ignoriert. Die versprochene Überarbeitung der MDK-Richtlinien lässt weiter auf sich warten. Wir brauchen eine abgesicherte Gesundheitsversorgung im SGB, damit trans Personen angst- und diskriminierungsfrei ihre medizinische Transition durchführen können. Der aktuelle Zustand ist nicht hinnehmbar.“
Die dgti empfiehlt, beim Verdacht auf willkürliche Entscheidungen zu klagen und stellt dafür ihre fachliche Beratung zur Verfügung. „Wir konnten schon einigen Menschen zu ihrem Recht verhelfen, so dass abgelehnte Maßnahmen durch sachliche Argumentation genehmigt wurden. Manchmal hilft es auch, den Druck zu erhöhen und die übergeordnete Aufsichtsbehörde einzuschalten“, so Petra Weitzel. „Jeder gemeldete Fall willkürlicher Begutachtung wird aktenkundig gemacht und hilft so, die Gesamtsituation in der trans Gesundheitsversorgung zu verbessern.“