Queer.de – „Mein Ehrenamt ist eine Vollzeitstelle“
Queere Selbsthilfe
„Mein Ehrenamt ist eine Vollzeitstelle“
Julia Monro vom Projekt Transkids.de in Rheinland-Pfalz fordert mehr Unterstützung von der Landesregierung. Gegenüber queer.de schildert sie ihren harten Alltag als Aktivistin.
Julia Monros Projekt Transkids.de bietet allen Ratsuchenden Informationen zum Thema Transidentität und stellt insbesondere Eltern und Pädagogen eine Plattform zur Verfügung, um sich miteinander auszutauschen und zu vernetzen (Bild: privat)
Julia Monro kommt aus der Region Koblenz und engagiert sich für transidente Menschen. Insbesondere Kinder und Jugendliche liegen ihr am Herzen. Hierzu hat sie das Projekt Transkids.de gegründet.
Neben den reinen Beratungstätigkeiten für transidente Kinder und deren Eltern fallen viele Arbeiten an, ohne die sie die Beratungen gar nicht durchführen könnte. Dazu gehört unter anderem die Erzeugung von Sichtbarkeit, ein Unternehmer würde hier von Marketing sprechen.
Julia schildert uns eine Woche aus ihrer ehrenamtlichen Arbeit und warum sie von der Landesregierung mehr Unterstützung fordert.
Vom Beratungsgespräch bis zum Politikertreffen
Am 1. und 2. September, ein Wochenende, fand die Mitgliederversammlung von Queernet RLP statt. Zwei Tage lange diskutieren und Strategien entwickeln, um für mehr Sichtbarkeit zu sorgen, Empowerment-Workshops und Beratungsleitfäden planen und besprechen. Der Zeitaufwand beträgt inklusive Fahrt rund 17 Stunden.
Am Montag, den 3. September dann ein Treffen mit einem lokalen Politiker. Es wird besprochen, wie man zum Thema Transidentität in der Region besser aufklären und bestimmte Themen politisch besser platzieren kann. Zeitaufwand ca. 2,5 Stunden inklusive Fahrtzeit.
Dienstag, 4. September: Beratungsgespräch in einer Klinik in Alzey. Zeitaufwand 2 Stunden plus 2,5 Stunden reine Fahrtzeit.
Mittwoch, 5. September: Runder Tisch Mainz. Zeitaufwand etwa 2,5 Stunden plus 2 Stunden Fahrtzeit. Anschließend weiter nach Frankfurt zum Elternstammtisch transidenter Kinder. Zeitaufwand ca. 2 Stunden plus Fahrtzeit ca. 2,5 Stunden. Als Julia gegen 0.30 Uhr zu Hause eintrifft, liest sie noch ihre Emails. Eine hilfesuchende Mutter hat sich gemeldet, ihr Kind ist vermutlich trans*. Sie antwortet mit den Kontaktdaten und nennt zwei Zeitfenster, zu denen die Mutter sich in den kommenden Tagen telefonisch melden soll.
Nur selten geht es um Julia selbst
Am Donnerstag, den 6. September ruft die Mutter um 9 Uhr an. Gesprächszeit ca. 1 Stunde. Es wird ein Beratungstermin für die nächste Woche ausgemacht. Sie macht sich fertig und fährt um 11 Uhr los Richtung Trier. Dort hält sie auf einer Lehrerfortbildung einen Vortrag zum Thema Transidentität an Schulen. Um 18 Uhr ist sie wieder zu Hause und trifft sich eine Stunde später mit einem Pastor. Sie glaubt an Gott und sucht nach einer Gemeinde, die sie aufnimmt, und spricht mit ihm über die Ablehnung, die Kirchen ihr gegenüber zeigen. In diesem Termin geht es diese Woche erstmals um sie selbst und nicht um andere.
Am Freitag, den 7. September findet ein zweistündiges Treffen mit einer befreundeten Transperson statt, um die Situation zwischen diversen Organisationen zu besprechen. Der Rest des Tages ist „Freizeit“. Tatsächlich arbeitet Julia heute den ganzen Tag Emails ab. Die meisten davon betreffen den Ergänzungsausweis der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität. Außerdem telefoniert sie viel, um Organisatorisches abzusprechen, und meldet sich für zwei neue Events an, wo sie einen Infostand betreuen wird und einen Vortrag hält. Am Abend beschäftigt sie sich mit einer Lektüre über den Umgang mit transidenten Kindern an Schulen. Ein befreundeter Lehrer bat um Korrekturlesen. Insgesamt beschäftigt sie sich an diesem Tag etwa 7 Stunden mit der Thematik.
50 Stunden Ehrenamt in einer Woche
Insgesamt beträgt der Arbeitsaufwand nach 7 Tagen ca. 50 Stunden. „Das ist Standard“, sagt Julia. „Wir ackern wie wild und erledigen Aufgaben, bei denen unsere Regierung nicht nachkommt. Es ist egal, ob es um Flüchtlingsarbeit, Sportvereine o.ä. geht. Wenn die Regierung ihrer Aufgabe nicht nachkommt, dann erledigen das die Ehrenamtler. Wir füllen deren Lücken. Ich würde mir wünschen, dass sie das mehr zu schätzen wissen, was wir tun.“
Die Trans*-Community in Rheinland-Pfalz wünscht sich seit langem eine eigene Koordinierungsstelle, um das Beratungsangebot zu verbessern. Dafür sei aber kein Geld da, werde sie immer wieder vertröstet. Stattdessen wird ein Beratungstopf zur Verfügung gestellt von insgesamt 10.000 Euro. Um diesen dürfen sich dann alle Vereine aus dem Bundesland bewerben, und jeder kriegt ein paar Krümel vom Kuchen ab. Voraussetzung ist, dass man im Jahr über 20 Beratungsstunden zu je 50 Minuten durchführt.
Hier ist nur die reine Beratungszeit gemeint. Eine E-Mail? Ein Telefonat? Ein Treffen mit einem Elternteil oder einem Transkind? Ein Workshop an einer Schule? Eine Lehrerfortbildung? Eine Anfrage eines Therapeuten? „Für mich sind diese Tätigkeiten untrennbar miteinander verknüpft, weil sie die Sache insgesamt vorwärtsbringen“, sagt Julia. „Zum Beispiel würde ich ohne diese Netzwerktreffen gar nicht wissen, wie ich eine Beratung durchführe oder wo die Bedarfe gerade bei Schulen liegen. Und wenn mich ein Lehrer anruft und um Informationen bittet, kann ich ihn doch nicht ablehnen, weil diese Tätigkeit nicht gefördert wird?“
Auf diesen Fördertopf will sich Julias Organisation gar nicht erst bewerben: „Sonst nehme ich das Geld anderen Organisationen weg, dann gibt es Streit, dass die einen mehr zugesprochen bekommen als andere. Sowas stiftet Unfrieden und man verliert den Fokus, der auf den Menschen liegen sollte.“
Projektförderung neu überdenken
Julia fordert eine äquivalente Honorierung: „Der Staat solle sich mal vor Augen halten, welche Kosten auf ihn zukommen würden, wenn die Ehrenämter das alles nicht auffangen würden!“ Es brauche Absprachen zwischen den Organisationen und anderen Ehrenamtlichen, Vermittlungsarbeiten untereinander, Rücksprachen mit Behörden, Zusammenarbeit mit Ärzteverbänden, Krankenkassen und Co. Dazwischen beantworte man Telefonate mit Ärzten, Therapeuten, streichele die Seelen transidenter Kinder per Whatsapp und beruhige weinende Mütter. „Ich liebe es mit Menschen zu arbeiten und freue mich über den kleinsten Erfolg, wenn wir etwas bewegen können“, sagt Julia.
Ihr Ehrenamt ist ein Fulltime-Job und kommt einer 5-Tage-Woche inklusive Wochenendarbeit von 40 Stunden mehr als nahe. Julia ist arbeitslos. Durch ein nicht-selbstbestimmtes Outing verlor sie in den letzten zwei Jahren fast ihr gesamtes soziales Umfeld. Alternativen gibt es kaum. Im Ehrenamt findet sie eine sinnvolle Aufgabe und spricht dabei von Erfüllung: „Mir reicht es in glückliche Gesichter zu sehen, einen größeren Lohn kann man nicht bekommen.“
Indem sie queer.de von ihrem Engagement erzählt, will Julia die Landesregierungen wachrütteln, dass Ehrenamt nicht selbstverständlich sei und wesentlich mehr Rückhalt brauche. „In Rheinland-Pfalz könnte man locker in vier oder fünf Großregionen eine solche Koordinierungsstelle schaffen, und diese wären voll ausgelastet.“ Angesichts der „Dritten Option“ trauten sich auch viel mehr Menschen an die Öffentlichkeit. „Der Bedarf wird in der Zukunft um ein Vielfaches ansteigen. Die Regierung muss hier reagieren um vorbereitet zu sein.“
Und dabei insbesondere die Selbsthilfestrukturen und die Ehrenamtler besser absichern, so Julia Monro: „Denn wer kann eine solche Aufgabe besser erfüllen als jemand, der darin eine Berufung sieht und nicht nur einen Beruf?“ (cw)