SIEGESSÄULE – Nachruf Manfred Bruns
Nachruf
Am 22. Oktober 2019 verstarb Manfred Bruns, einer der Vorkämpfer der deutschen LGBTI*-Emanzipationsbewegung. Der Bundesanwalt a.D. war einer der Wegbereiter der liberalen Aids-Politik, setzte sich u.a. für die Öffnung der Ehe, die Rehabilitierung der nach Paragraf 175 verfolgten Homosexuellen und bis kurz vor seinem Tod für die Rechte von trans* und inter* Personen ein. Ein Nachruf von Julia Monro

Manfred Bruns war u. a. langjähriges Vorstandsmitglied des LSVD (Foto © LSVD)
Es gibt zwei Arten von Abschied. Den einen erlebt man, den anderen erleidet man. Wenn ein Leben zu Ende geht, dann erinnert man sich der guten Taten. Man spricht von Helden und Wohltätern. Der Mensch, der verstorben ist, schien keine Makel zu haben. Doch Menschen ohne Makel existieren nicht. Und nur die wenigsten haben die wahre Stärke, auch ihre Schwächen zu zeigen. Auch Manfred Bruns hatte Makel. Zurückblickend ertappe ich mich selbst, dass ich oft sauer auf ihn war, weil er gewisse Dinge nicht abgesprochen hat und einfach seinen Alleingang machte. Doch wir Menschen sind viel zu schnell im Kritisieren und vergessen dabei oft die positiven Dinge, die jemand leistet. Wir vergessen oft, uns zu bedanken oder jemanden zu loben. Bis Januar 2019 war Manfred Bruns für mich nur ein Name, den ich oft im Zusammenhang mit dem Kampf um Gleichbehandlung und der Öffnung der Ehe gehört hatte. Dass ich jemals mit ihm „beruflich“ zu tun haben, geschweige denn mehrmals im Monat Kontakt zu ihm haben würde, hätte ich mir damals nicht vorstellen können. Als wir im Januar dieses Jahres dann das erste Mal miteinander sprachen, ging es um das neue Personenstandsgesetz, und er stellte juristisch sehr pointiert heraus, welche Fehler der Gesetzgeber begangen hatte. Hier waren wir auf einer Linie, und wir besprachen unsere gemeinsame Vorgehensweise: welche Strategie wir wählen wollen, was wir den Medien preisgeben, aber vor allem, wie wir die Menschen unterstützen können, die es brauchen werden. Als er mir sein Alter verriet, staunte ich nicht schlecht. Umso mehr wurde mir aber klar, dass mein Leben im Vergleich zu seinem sehr überschaubar sein musste, obwohl ich mit Mitte 30 selber schon viel erlebt habe. Aber wie viel mehr musste er erlebt haben? Wie viel Erfahrung musste er im Kampf für unsere Sache haben? Was wird er dabei alles durchgemacht haben? Menschen mit solchen Erfahrungen sind Gold wert, und ich versuchte, ihm meine Dankbarkeit auszudrücken dafür, dass er sich in seinem Alter noch diesen Themen
widmete. Ich kam mir dabei wie ein kleines Schulkind vor, das seinen Lehrer anhimmelt. Er antwortete nur sehr bescheiden: „Wir müssen ja zusammenhalten.“ Ab diesem Zeitpunkt stand ich jeden Monat mit ihm in Kontakt. Denn als ehemaliger Bundesanwalt am Bundesgerichtshof war er für die neue Rechtslage eine unserer ersten Ansprechpersonen. In der Folge verwies ich immer mehr Menschen an ihn und er an mich. Wir glichen unsere Schriftsätze miteinander ab. Doch eines Tages kam keine Antwort mehr.
Am 8.10. fragte ich ihn per Mail nach aktuellen Zahlen und informierte ihn über das weitere strategische Vorgehen. In der Regel meldete er sich sehr schnell, und ich wunderte mich, dass diesmal eine Antwort ausblieb. Ich ertappte mich bei dem Gedanken: „Hoffentlich geht’s ihm gut und er bleibt uns noch eine Weile erhalten.“ Am 20.10. sendete ich ihm abends meine, wie ich nun weiß, letzte E-Mail. Auch hier bekam ich keine Antwort. Zwei Tage später erreichte mich die erschütternde Nachricht von seinem Tod.
Er hat in Verfahren um das neue Personenstandsgesetz nicht nur über 100 Menschen unentgeltlich juristischen Rat gegeben, sondern auch Mut und Hoffnung gespendet. Er kämpfte bis zum Schluss, sein Tod ist vor allem auch in diesem Kontext ein großer Verlust. Traurig, dass er die Früchte seiner Arbeit nicht mehr selbst miterleben kann.
Gewiss hatte er Makel, so wie jeder Mensch welche hat. Aber vor allem hatte er Herz, Eifer, Mut und Willenskraft. Wir brauchen mehr solcher Menschen. Menschen, die Zivilcourage zeigen. Pionier*innen, die neue Wege gehen. Menschen, die nicht müde werden, sich für ihre Nächsten einzusetzen. Denn vor allem das war Manfred Bruns. Wir sollten uns viel öfter an die positiven Dinge eines Menschen erinnern. Und zwar nicht erst dann, wenn derjenige nicht mehr unter uns ist. Möge er dort, wo er jetzt ist, Ruhe finden. Danke Manfred.
Julia Monro ist Menschenrechtsaktivistin und engagiert sich für Personen mit „Varianten der Geschlechtsentwicklung“. Bis zu seinem Tod arbeitete sie diesbezüglich eng mit Manfred Bruns zusammen
Quelle: Siegessäule Heft vom 21.11.2019 (PDF)
2019-11_Nachruf_Bruns_SIEGESSÄULE