SIEGESSÄULE – Traut euch!

Traut euch!

Angesichts des Rollbacks in puncto Trans*- und Inter*-Rechte in Ungarn, den USA und anderen Ländern fordert die Menschenrechtsaktivistin Julia Monro die Bundesregierung zum Handeln auf

Schon immer werden die Schwachen von den Starken unterdrückt. Nero hat es vorgemacht. Er brauchte einen Sündenbock und zündete Rom an. Die Schuld gab er den Christen, die damals in der Unterzahl waren. Die Christen wurden mehr, und das Spiel von Nero wiederholte sich. Aber diesmal in die andere Richtung.
Die Inquisition ließ Rothaarige auf dem Scheiterhaufen brennen. „Gott will es“, hieß es immer, und man berief sich auf das heilige Buch. Doch wie viel Leid hat dieser Satz schon angerichtet? Was hat dieser Blick in die Vergangenheit mit der Situation von LGBTI* heute gemeinsam? Heute sind die Verfolgten von damals
oft selbst Verfolger. Sie bringen religiöse Argumente und beschuldigen die „Regenbogenpest“, verantwortlich für Corona zu sein. Es sind oft sehr konservative, orthodoxe oder evangelikale Kreise, die eine vermeintlich „finanzstarke Gender-Lobby“ aufhalten wollen. In Ungarn werden trans* Personen per Gesetz ausgelöscht. Nach
einem Gesetz, das die Regierung Orbáns im Mai erlassen hat, sollen nur noch die Geschlechtseinträge gelten, die bei Geburt verzeichnet wurden. Davon abweichende Regelungen sind nicht gewünscht. Rumänien will es verbieten, über das Thema Geschlechtsidentität an Schulen aufzuklären. Und Trump verbietet Trans* im Militär und macht die Errungenschaften von Obama rückgängig: Krankenhäuser dürfen trans* Personen ab jetzt offiziell die Versorgung verweigern. Die konservativen religiösen Gruppen feiern ihren Sieg und meinen, sie haben eine gute Tat für ihren Glauben vollbracht.
An alle Gläubigen: Hört auf, eure Ideologien für das Versagen eurer Nächstenliebe verantwortlich zu machen. Ihr alle habt einen Verstand und einen freien Willen mit dem klaren Auftrag: „Nehmt einander an.“ Hört auf mit euren Schuldzuweisungen. Nehmt euren Nächsten in den Arm. Seid empathisch, seid solidarisch. Wir brauchen eure Unterstützung. Gerade jetzt, wenn die Regierungen Polens, Ungarns, der USA und in anderen Weltregionen zunehmend Politik auf dem Rücken von trans* und inter* Personen, von LGBTI* machen, wäre es das richtige Zeichen, wenn die Bundesregierung mit positivem Beispiel vorangehen und eine Vorreiterrolle einnehmen würde. Wenn sie endlich ein Gesetz verabschieden würde, welches allen Menschen ermöglicht, ihren Geschlechtseintrag selbstbestimmt und ohne Gängelungen und entwürdigende Fremdbegutachtung zu ändern. Wir brauchen Gesetze, die eine besonders vulnerable Personengruppe vor Diskriminierung schützen, um eine angstfreie Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. So braucht es auch endlich eine Verankerung des Merkmals „sexuelle und geschlechtliche Identität“ im Artikel 3 des Grundgesetzes. Wir brauchen Gesetze,
die das Wohl und die Würde des Menschen wieder in den Fokus rücken. Traut euch!


Quelle: Siegessäule Heft Juli 2020 – Seite 7 (PDF | Link zur Webseite)

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