Göttingen

Auf dem Weg zur Anerkennung ihrer wahren Identität nutzen immer mehr Menschen den sogenannten „Ergänzungsausweis“ der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti).

„Der Ergänzungsausweis ist ein ergänzendes Dokument zum bestehenden Personalausweis. Wenn ein Arbeitgeber, ein Kreditinstitut, eine Schule, eine Universität oder andere Einrichtungen beide Dokumente vorgelegt bekommen, besteht die Möglichkeit, den Vornamen und den Personenstand vor der amtlichen Änderung in den Akten einzutragen“, erklärt Julia Monro, bis Ende 2019 Leiterin der Erfassungsstelle für den Ergänzungsausweis bei der dgti. Seit Jahresbeginn 2020 ist sie dort für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zuständig.

Diskriminierung verhindern

Monro erläutert: „Durch die aufgedruckte Personalausweisnummer kann der Person des Ergänzungsausweises immer zweifelsfrei die (noch) amtliche Identität zugeordnet werden. Damit ist Betrug oder Identitätsverschleierung ausgeschlossen. Außerdem ist die Person ist in der jeweiligen Institution in der Regel auch persönlich bekannt.“ Es gebe sogar Rechtsgutachten, die eine Vornamensänderung bereits vor der amtlichen Anerkennung bestätigen. Wenn eine Person schon seit einiger Zeit in der neuen sozialen Rolle lebe und den neuen Namen verwende, dann sei der (noch) amtliche Name laut Monro viel eher dazu geeignet, Irritationen hervorzurufen und Diskriminierungen zu begünstigen.

Oftmals, so Monro weiter, sei ein Verfahren für die Änderung des Vornamens und des Personenstandes mit hohen Kosten verbunden, sodass zum Beispiel Studierende sich diese gar nicht leisten können und dann „zwangsweise Diskriminierungen ausgesetzt sind“. Für die Übergangszeit der Transition gebe es vom Gesetzgeber keine Regelung, die zum Beispiel mit dem Mutterschutzgesetz vergleichbar wäre.

An Schutzauftrag erinnern

Monro: „Der Ergänzungsausweis kann da Abhilfe schaffen. Wir können Schulen und Universitäten nur empfehlen, sich an ihren Schutzauftrag für Schutzbefohlene zu erinnern. Schließlich handelt es sich um eine besonders vulnerable Personengruppe, die eben aufgrund dieser fehlenden Anerkennung der geschlechtlichen Identität eine erhöhte Depressionsrate oder gar Suizidalität aufweisen.“

Auch Arbeitgeber haben hier laut Monro eine „besondere Fürsorgepflicht“ und seien angehalten, eine individuelle Gesundheitsgefährdung zu verhindern. Eine Nicht-Anerkennung könne demnach „juristisch betrachtet als fahrlässige oder sogar vorsätzliche Gesundheitsgefährdung gewertet werden“, mahnt die Sprecherin an. Der Bundesverband von „Pro Familia“ werte ausbleibende Unterstützungsmaßnahmen sogar als „Kindeswohlgefährdung“.

Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits vor 24 Jahren hierzu geurteilt (Auszug aus BVerfG, 15. August 1996 – 2 BvR 1833/95): „Jedermann kann daher von den staatlichen Organen die Achtung dieses Bereichs verlangen. Das schließt die Pflicht ein, die individuelle Entscheidung eines Menschen über seine Geschlechtszugehörigkeit zu respektieren.“

Positive und negative Erfahrungen

Aber wie verhält es sich in der Praxis? Monro hierzu: „Personen, die den Ergänzungsausweis bestellen, berichten oftmals von großer Erleichterung, endlich erstmals im Leben ein Dokument in Händen zu halten, wo ihre Identität ausgewiesen ist. Er hat also auch einen sehr hohen symbolischen beziehungsweise emotionalen Wert“, so die Expertin. Manchmal werde der Ergänzungsausweis sogar als Geburtstagsgeschenk bestellt. Inhaber solcher Ausweise berichten viel Positives aus dem Alltag – etwa von der jüngsten Polizeikontrolle oder aus anderen Lebenssituationen.

Aber Monro kennt auch die andere Seite der Medaille: „Oft werden auch Probleme der Nicht-Anerkennung geschildert, bei denen wir uns dann teilweise auch äußern, um auf die Rechtmäßigkeit hinzuweisen. In einigen Fällen hilft es, in anderen bleibt die Anerkennung leider verwehrt. Das sind dann oft diejenigen, die von depressiven Verstimmungen berichten und wo die Gesundheit sich verschlechtert.“

Bestellmöglichkeit: So bekommt man den Ergänzungsausweis

Der Ergänzungsausweis kann für 19,90 Euro auf der Internetseite der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (www.dgti.org) bestellt werden. Auf der Seite gibt es zudem viele weitere Informationen zum Ausweis, aber auch zu rechtlichen und medizinischen Fragen, zu Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen sowie zu weiterführender Literatur. Auch Themen wie Religion, Ethik und Gender-Politik werden auf der Seite behandelt.

Von Markus Riese


Quelle: https://www.goettinger-tageblatt.de/Thema/Specials/Thema-des-Tages/Wie-der-Ergaenzungsausweis-Transpersonen-im-Alltag-helfen-soll vom 27.02.2020